Ronja Scholz, Fraunhofer IZM:
Was wird sich durch diese Verordnung im Vergleich zur vorherigen Richtlinie aus Ihrer Sicht verändern?
Durch die Erweiterung der Ökodesign Verordnung auf relevante Sektoren könnten kreislauffähige Produkte zur Norm und entsprechende Designanforderungen verpflichtend eingeführt werden. Die EU beziffert den Anteil aller abgedeckten Produkte an den Treibhausgasemissionen auf 16%, der durch die Maßnahmen auf 9% reduziert werden könnte.
Da die Verordnung allerdings erst einmal nur die Rahmenbedingen schafft, bleibt zu erwarten, wie sehr diese Potentiale auch wirklich ausgeschöpft werden. Die regulatorischen Möglichkeiten für energieverbrauchende Geräte ändern sich zum Beispiel nicht signifikant, wurden aber in der Vergangenheit auch nicht vollends genutzt, wodurch die Einsparungspotentiale teilweise verlorengegangen sind. Ein prominentes Beispiel dafür sind Fernsehgeräte: die Effizienz je cm² ist durch die alte Verordnung signifikant verbessert worden, durch die zunehmende Größe verbrauchen die Geräte absolut aber immer mehr Energie und gehen darüber hinaus schneller kaputt.
In der Novellierung sollen deshalb mehr Nachhaltigkeitsaspekte wie Reparierbarkeit, Langlebigkeit und die Ressourceneffizienz adressiert werden. Einen ersten Ausblick, wie das aussehen könnte, gibt die Regulierung für Mobiltelefone und Tablets, an der wir maßgeblich mitgewirkt haben und die ab Mitte 2025 greift. Hier werden in Kombination mit dem Energielabel ambitionierte Vorgaben gemacht. Für viele elektronische Geräte wie Computer könnte diese als Blaupause dienen.
Mit der Erweiterung auf nicht-elektronische Konsumgüter wie Spielzeug, Textilien und Reifen aber auch relevante Grundstoffe sollen aber nicht nur kreislauffähige Produkte zur Norm werden, sondern auch nachhaltige Praktiken in der gesamten Lieferkette verankert werden.
Eine Neuerung dabei ist der Digitale Produkt Pass (DPP), der für die nötige Transparenz und Weitergabe relevanter Informationen an die jeweiligen Akteure in der Lieferkette sorgen soll. Auch hier wird die Umsetzung in der Praxis den Erfolg maßgeblich mitbestimmen. Es bietet die Chance für Kollaboration und das Ausschöpfen von Einsparungspotentialen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, so werden nicht nur Informationen zum ökologischen Fußabdruck oder der Herkunft von Materialien hinterlegt, durch die Zustandsinformation von Geräten und insbesondere der Akkus kann zukünftig besser bestimmt werden, wie ein Gerät oder dessen Komponenten nach der Nutzung weiterverwendet werden können.
Für die Konsumenten bedeutet das in Zukunft mehr Zugang zu Informationen. Dadurch soll einerseits die „Kaufkraft als Stimmzettel“ also informierte Kaufentscheidungen gefördert werden, was jedoch auch eine verstärkte Informationspflicht bedeuten kann. Ganz konkret kann sich durch verbesserte Reparierbarkeit und Lebensdauer von Produkten aber auch eine positive Auswirkung auf den Geldbeutel durch Einsparung von Neuanschaffungen ergeben.
Für Händler könnte insbesondere das Verbot der Vernichtung von unverkaufter Ware relevant werden. Wie genau dies umgesetzt wird, ist noch nicht festgelegt, in einem ersten Schritt müssen Großunternehmen aufgeschlüsselt deklarieren, wie viele Produkte sie wie vernichten. Inwiefern und wie sich dies auf Händler auswirkt muss noch ausgehandelt werden.
Für welche Sektoren wird die ESPR gerade am Standort Berlin relevant werden?
Mit Ausnahme der Grundstoffe (wie Stahl, Metallen, Aluminium, Chemikalien) liegt der primäre Fokus weiterhin auf Elektronikprodukten - und Neu-Textilien-, deren Fertigung weitestgehend außerhalb Europas stattfindet. Die Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Berlin sind demnach nicht konkret absehbar. Betroffen werden einerseits möglicherweise die Händler sein, die Ersatzteile verfügbarer machen aber auch für Retouren und Reklamationen neue Lösungen finden müssen. Über die Auswirkungen für den Textilhandel kann ich keinerlei Prognose machen.
Ein großes Potential liegt durch das zirkuläre Design bei Betrieben, die sich auf Reparatur ausrichten, denn während die Reparatur durch die Endverbraucher bei einigen Produkten bzw. Komponenten möglich gemacht werden soll, sind die meisten Konsumenten bei komplexen Produkten auf professionelle Dienstleistungen angewiesen. Um auch hier die vollen Potentiale auszuschöpfen und z.B. die Aufarbeitung von Gebrauchtgeräten im wirtschaftlichen Maßstab zu ermöglichen, bedarf es aber u.a. auch einer Anpassung der Abfallgesetze.
Insgesamt soll durch die zirkuläre Wirtschaft und die erweiterte Ökodesignrichtlinie die strategische Autonomie und eine größere Unabhängigkeit von globalen Rohstoffen und Lieferketten erreicht werden, wodurch nicht nur die Ressourcen, sondern auch mehr Wirtschaftskraft im Land verbleiben.
Was können Unternehmen konkret tun, um auf die neuen Anforderungen zu reagieren?
Wenn Produkte langlebiger und häufiger repariert werden, werden weniger Produkte verkauft. Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell und ihre Lieferketten frühzeitig überdenken, können diese entsprechend anpassen. Eine erste Frage könnte sein, mit welchen Dienstleistungen sich zukünftig ein Geschäft machen lässt. Dies kann das Aufarbeiten oder Weiterverkaufen von Geräten sein, aber evtl. auch strategische Kooperationen mit anderen Akteuren zu schließen, so dass diese Prozesse effizient und profitabel ausgestaltet werden. Auch Zulieferer können z.B. durch die Aufarbeitung von Komponenten ihre Expertise bewahren und neue Verkaufskanäle generieren.
Hier kann die Digitalisierung, insbesondere von Dienstleistungen, zum Tragen kommen, denn dadurch kann der Kontakt zum Kunden aufrechterhalten bleiben und z.B. mit regelmäßigen Wartungsverträgen Kosten und Nutzen für das Unternehmen optimiert und letztendlich auch die Verfolgbarkeit der Geräte sichergestellt werden. Die neuen Anforderungen stellen aber auch ganz konkrete Fragen zur Logistik: sollen Ersatzteile auf Lager gehalten oder aus Altgeräten generiert werden, oder werden sie auch nach Abkündigung durch Drittanbieter on demand verfügbar sein? Hier muss im Einzelfall überprüft werden, welche Lösung für ein Unternehmen am profitabelsten ist.
Wir arbeiten dafür mit den Unternehmen Hand-in-Hand und entwickeln und evaluieren verschiedene Strategien mit Blick auf Profitabilität und Nachhaltigkeit, vom Geschäftsmodell bis zu verschiedenen Designoptionen und sehen auch Unternehmen, die sich bereits jetzt zweigleisig aufstellen und sowohl mit Neuverkaufen als auch vermehrten Dienstleistungen sehr gut fahren.
Ein allererster Schritt kann aber auch sein, sich einen Überblick über die Lieferkette und die damit verbundenen Emissionen und Anforderungen zu verschaffen. Uns erreichen hierzu vermehrt Anfragen, sowohl von Zulieferern als auch Herstellern. Dadurch kann einerseits Reportingpflichten die sich aus dem Lieferkettengesetz aber auch dem DPP ergeben, nachgekommen werden. Aber nicht nur aus Sicht der Nachhaltigkeit ist das sinnvoll, denn nur wer weiß, wo die Schwerpunkte oder „Hotspots“ liegen, kann zielführende Maßnahmen ableiten, und seine eigenen Ressourcen und Kapazitäten gezielt für Anpassungsmaßnahmen nutzen, anstatt viel Energie in wenig wirksame Maßnahmen zu investieren.